Bastfaserpflanzen im eigenen Rohstoffgarten – Wissenswertes für Schulprojekte, Museums- und Hausgärten

Einerlei ob in mehr oder weniger öffentlich zugänglichen Gärten wie in Schulen, Freilichtmuseen und Kräuterparks oder im heimischen Garten, drei typische Bastfaserpflanzen gehören jedenfalls dann an prominenter Stelle hinein, wenn es um die Erzeugung von Textilien aus Pflanzen geht: Flachs, Fasernessel und Ramie.

Grundsätzlich würde auch der Nutzhanf hinzu gehören, wären da nicht die vielfältigen Restriktionen die der Gesetzgeber (Anbau von Nutzhanf nur mit behördlicher Genehmigung) vorsieht oder die Unvernunft von Mitmenschen (uneinsichtige Cannabisnutzer, die nicht wahrhaben möchten, dass das Rauchen von Nutzhanf außer einer Kohlenmonoxidvergiftung keinen spürbaren Effekt bringt)

Beschränkt man sich nun mehr oder weniger freiwillig auf die drei legalen Bastfaserpflanzen, so fällt zunächst der Unterschied auf, in welcher Form diese zu beschaffen sind: Faserlein, auch Flachs oder Faserflachs genannt, wird fast ausschließlich als Saatgut angeboten. Fasernessel und Ramie dagegen finden sich umgekehrt eher als lebende Pflanzen.
Der Grund dafür liegt sowohl in dem Befruchtungsprozess als auch in dem Aufwand beim Säen:

  • Faserlein bildet als Selbstbefruchter reichlich Samen, etwa 5% bis 7% seines Erntegewichts, die zudem im folgenden Frühjahr zu mehr als 90% auch keimen und auflaufen. Als Selbstbefruchter entspricht die neue Generation hinsichtlich genetischem Kode und damit Eigenschaften weitgehend der Elterngeneration.
  • Fasernessel und Ramie werden üblicherweise vegetativ vermehrt; dabei werden von der Elternpflanze Wurzel- oder Sprossteile abgetrennt, die im Falle der Wurzelteile sofort als eigenständige Pflanzen weiter wachsen oder im Fall der Sprossteile nach der Neubildung von Wurzeln aus der Rinde zu eigenständigen Pflanzen werden, die exakt das gleiche Erbgut wie die Mutterpflanze haben.
  • Fasernesseln können auch  aus Samen gezogen werden, jedoch würden aufgrund des weiten Pollenflugs die Samen einer Mutterpflanze dutzende von Vätern haben, darunter auch viele aus Brennnesselbeständen der Umgebung. Die Eigenschaften der neuen Fasernessel-Generation würden bei der Vermehrung  über Samen demnach weit auseinander driften, weil die Gene der Mutter, die beispielsweise einen hohen Fasergehalt beinhalten, durch die Gene von Brennnesselvätern mit geringem Fasergehalt „verdünnt“ werden.
  • Da zudem der für Faserqualität optimale Erntezeitpunkt der Fasernessel vor der Blüte liegt, sollten, wenn überhaupt, nur einige wenige Stängel für eine generative Vermehrung erhalten werden. Für Ramie gilt hinsichtlich des für die Faserqualität optimalen Erntezeitpunkts Ähnliches wie für die Fasernessel. Ohnehin kommt hierzulande kultivierter Ramie im Freiland nicht zuverlässig zur Blüte. Unsere Pflanzen haben ihre Blüten im Februar im Blumenfenster gebildet, immerhin etwa die Hälfte der gebildeten winzigen Samen war keimfähig.

Vor die Wahl gestellt, wo in einem Garten die Bastfaserpflanzen denn stehen sollen lohnt es sich deren Standortansprüche genauer anzusehen: Faserlein liebt die Sonne und weniger nährstoffreichen  Boden, während Fasernessel und Ramie auch mit Halbschatten gut zurecht kommen und sehr nährstoffreiche Böden, vor allem in Bezug auf Stickstoff, bevorzugen. Da die Fasernessel, anders als Ramie, Brennhaare aufweist, empfiehlt sich für deren Standortwahl eine gewisse Abgeschiedenheit. Besser in einer Ecke oder am Rand und weiter weg von häufig frequentierten Laufwegen. Die Ramie ist mangels Brennhaaren angenehmer im direkten Umgang. Aufgrund ihres schnellen Höhen und Breitenwachstum sollte ihr Standort jedoch so gewählt werden, dass ihr Schattenwurf kleinere Pflanzen nicht beeinträchtigt. Nach unseren Erfahrungen ist eine Ramie-Pflanzung  entlang Mauern recht günstig, da sie im Frühjahr von deren gespeicherten Wärme profitiert und ihrem seitlichen Ausbreitungsbestreben zumindest in einer Richtung von vornherein Einhalt geboten ist.

Für beide Nesselgewächse, Ramie und Fasernessel, gilt dass sich gerne und schnell seitlich ausbreiten. Wenn man knapp mit Platz ist und sich die jährliche Arbeit der Zurückdrängung ersparen möchte, verwendet man am besten eine Wurzelsperre, welche diese Pflanzen in „ihrem“ Bereich festhält.

45 cm Längenwachstum in 13 Tagen: bei mehr als 3 Zentimeter am Tag kann man fast zusehen

45 cm Längenwachstum in 13 Tagen: bei mehr als 3 Zentimeter am Tag kann man fast zusehen

Das Zeitfenster für die Aussaat von Flachs im Rohstoffgarten ist wesentlich größer als jenes für die Aussaat auf Großflächen. Saattermine von Mitte März bis Ende Mai sind möglich und stehen der Gewinnung von brauchbaren Flachsfasern nicht entgegen. Noch größer ist das Zeitfenster für das Auspflanzen von  Fasernesseln; hier kann von Mitte März bis Mitte September ausgepflanzt werden. Allerdings sollten nach Mitte Juli gepflanzte Fasernesseln im ersten Jahr nur zum geringen Teil beerntet werden, weil die Pflanzen die Möglichkeit brauchen, Reservestoffe in die Wurzeln einzulagern um im folgenden Frühjahr kräftig austreiben zu können. Eine Mittelstellung nimmt Ramie ein, sie sollte nicht vor den Eisheiligen ausgepflanzt werden,

Während Flachs bei trockenem Wetter nur gelegentlich, z.B. während der Keimung oder in der Streckungsphase gegossen werden muss, wünschen die Nesselgewächse schon eher feuchte Bedingungen, zumal auch nur dann ihr Nährstoffhunger befriedigt werden kann, wenn genügend Bodenwasser die Nährstoffe an die Pflanzen transportieren kann. Wer also 2 oder 3 Ernten von Fasernessel oder Ramie im Jahr erzielen möchte, tut gut daran, bei trockenem Wetter mit 10 bis 20 Litern Wasser je Quadratmeter und Woche nachzuhelfen. Das sollte dann auch im 2. Standjahr zu Erträgen von 1 bis 2 kg Stängelmasse je Quadratmeter führen. Dies entspricht dann zusätzlichen etwa 0,5 kg bis 1,5 kg Blattmasse, die als Pflanzenfarbstoff, in Form von Brennnesseljauche oder als Grundstoff für die Hausapotheke einen Zusatznutzen bringen. Im ersten Standjahr kann bei frühem Auspflanztermin mit knapp der Hälfe der zuvor genannten Erträge gerechnet werden, bei späten Auspflanzterminen nochmals deutlich weniger.

Ramie nach dem Wiederaustrieb im Frühjahr

Aufwuchs nach etwa 4 Wochen

 

Flachs kennt nur einen Erntetermin; dieser ist dann gekommen, wenn etwa 100 Tage nach der Aussaat die Flachspflanzen vollständig abgeblüht sind und sich aus den zarten blauen Blüten Kapseln entwickelt haben, in denen sich jeweils bis zu zehn Leinsamen finden.
Die unteren Stängelblätter sind dann bereits abgefallen, die Stängel selbst beginnen sich von unten nach oben „zeisiggelb“ zu verfärben. Der Flachs wird durch „Raufen“, d.h. durch Ausziehen der Pflanzen aus dem Boden geerntet. Durch einfaches Trocknen wird das Erntegut haltbar gemacht um es zu einem späteren Zeitpunkt zu entkapseln und der Wasserröste zuzuführen. Alternativ kann der geraufte Flachs auch dünn ausgebreitet auf dem Feld verbleiben und dann der Tauröste überlassen werden.

geerntete Fasernessel

Fasernessel wird im landwirtschaftlichen Anbau ein- bis zweimal geerntet, im gartenmäßigen Anbau zwei- bis dreimal. Sie wird im Rohstoffgarten am besten kurz vor oder zu Beginn der Blüte bei einer Länge von etwa 120 cm bis 170 cm geschnitten. Aufgrund der Brennhaare sich Handschuhe und lange Bekleidung notwendig. Die Blätter können direkt nach dem Schneiden von unten nach oben abgestreift werden und für eine Nutzung als Pflanzenfarbstoff oder Naturheilmittel getrocknet werden. Die überzähligen Blätter lassen sich sinnvoll zu einer  Brennnesseljauche ansetzen, die als natürliches Stärkungsmittel und zur Abwehr von u.a. Blattläusen im gesamten Garten  verwendet werden kann.

Nesselstängel vor dem Kalendern

Beste Ramie wird geerntet, sobald die Stängel beginnen sich an der Basis von grün nach braun zu verfärben. Bei kleinen Flächen kann daher fast kontinuierlich, je nach Standort (Temperatur, Wasser, Nährstoffe) meist ab Mitte Juni geerntet werden. Meist sind 2 bis 3 Schnitte je Pflanze im Jahr möglich. Geschnitten wird etwa 10 bis 15 cm oberhalb des Bodens. Die Stängel sind dann etwa 100 cm bis 150 cm lang.Auch Ramie wird unmittelbar nach Schnitt entblättert, die Blätter werden von unten nach Oben abgestreift und analog der Fasernessel als Pflanzenfarbstoff oder Naturheilmittel getrocknet.

Während der Flachs als sommeranuelle Pflanze im Winter ohnehin nicht im Boden ist, frieren die oberirdischen Teile der Fasernessel im Winter ab. Sie treibt im Frühjahr ohne weitere Schutzmaßnahmen wieder aus. Anders die Ramie, ihre Wurzeln benötigen vor allem in strengen Wintern eine dicke Abdeckung aus Mulch, Flachsscheben oder Strohhäcksel um im nächsten Spätfrühjahr wie Phönix aus der Asche in wenigen Wochen mächtig auszutreiben. Flachs und Fasernessel haben dann jedoch in unseren Breiten einen kaum einzuholenden Vorsprung.